Von Peter Studer (Senior Advisor, confinis ag): Die aktuelle Umfrage “Drittstaatanforderungen ohne MRA”[i] von Swiss Medtech ermöglicht es Schweizer Herstellern die Verwaltungskosten zu kennen, die spätestens ab dem 26. Mai 2021, dem Datum der Anwendung der neuen EU-Verordnung MDR (Medical Devices Regulation)[ii], aufgrund der notwendigen Umstellung ihrer Produkte auf Drittstaatanforderungen anfallen. Initiale Kosten belaufen sich pro Hersteller auf durchschnittlich CHF 195’000, wiederkehrende auf CHF 130’000. Dies ist die unmittelbare finanzielle Konsequenz für den nicht mehr vorhandenen barrierefreien Handel zwischen der Schweiz und der EU. Je rascher die Hersteller umstellen, desto geringer ist ihr Anteil nicht exporttauglicher Produkte zum MDR-Geltungsbeginn. Aufrütteln müssen auch die erhobenen CHF 1.8 Mia. Importverlust, die dem Handel durch einen neuen Schweizer Bevollmächtigten entstehen. Nebst einer gefährlichen Schwächung des Handels wird dies auch die Patientenversorgung nachhaltig schwächen.

Einleitung
Der Medizintechnikverband Swiss Medtech publizierte am 29. April 2020 Ergebnisse einer Umfrage über die Konsequenzen für die Schweizer Medizinproduktehersteller und Händler bei einem künftig nicht mehr barrierefreien Handel zwischen der Schweiz und der EU. Zusätzliche Handelshürden entstehen, denn die EU lässt derzeit eine notwendige Aktualisierung des MRA (Mutual Recognition Agreement)[iii] nicht zu. Grund ist der politisch bedingte Stillstand beim Institutionellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Für Produkte aus der Schweiz gelten ab Geltungsbeginn der MDR demnach dieselben Anforderungen, die für Produkte aus allen anderen nichteuropäischen Staaten gelten. Sie benötigen einen EU-Bevollmächtigten, zudem müssen die Produktlabels angepasst und allenfalls der Warenfluss für den Eintritt in den EU-Markt neu festgelegt werden. Unter Beachtung des neu festgelegten Geltungsbeginns der MDR auf 21. Mai 2021 sollen die Umfrageergebnisse und daraus abzuleitende Konsequenzen neu eingeordnet werden. Zu beachten ist dabei, alle Erhebungen wurden vor der pandemiebedingten Verschiebung des Geltungsbeginns und ohne Berücksichtigung von Lockdown-Effekten durchgeführt.

Exportbetroffenheit durch verspätete Produktbereitstellung
Auf Folie 5 («Präsentation» der Publikation vom 29. April 2020) ist der Bereitschaftsgrad der Hersteller aufgeführt, erste drittstaatkonforme Produkte in Verkehr zu bringen. Erhebungen wurden gemacht für den Zeitpunkt während der Umfrage, per 26. Mai 2020 sowie per 26. Mai 2021. Es ist davon auszugehen, dass alle Angaben unter Beachtung maximal mobilisierbarer Ressourcen gemacht wurden, denn die Umfrage wurde im Februar 2020, also vor der Verschiebung des Geltungsbeginns, durchgeführt und markante Umsatzeinbussen drohten für das laufende Jahr.

Bei allen Erhebungspunkten war der EU-Bevollmächtigte (beim Bereitschaftsgrad) limitierender Faktor. Die Ergebnisse machen auch deutlich, eine vollständige Umstellung aller Produkte wird in jedem Fall mehr als die gesamte Zeitspanne zwischen der Umfrage und dem neuen Geltungsbeginn beanspruchen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, je rascher Produkte umgestellt werden, desto geringer ist der Anteil von zu spät bereitgestellten Produkten. Es kann nur im Interesse der Hersteller sein, mit rascher Umstellung möglichst nahe an die per Umfrage erhobene Bereitschaftszahl von 91% zu kommen. So lässt sich ein potenzieller EU-Umsatzverlust auf einmalig 9% oder max. CHF 0.4 Mia. insgesamt eingrenzen. Demgegenüber wären ohne Verschiebung des Geltungsbeginns total ca. CHF 1.2 Mia. oder knapp 30% betroffen gewesen, dies gemäss Modellrechnung auf Folie 8.

Initiale und wiederkehrende Administrationskosten für Hersteller
Die Umfrage weist auf Folie 4 anfallende administrative Aufwände aus, die auf die 585 Hersteller im Zusammenhang mit den neuen Drittstaatanforderungen insgesamt zukommen. Dadurch entstehen jedem Hersteller durchschnittlich CHF 195’000 Initialkosten und nach Umstellung des gesamten Sortiments jährlich CHF 130’000 wiederkehrende Kosten.

Die Aufwände sind technisch unnötig, aber für die Branche insgesamt existenziell. Auf alle Fälle stehen sie in keinem Verhältnis zum allenfalls beeinträchtigten jährlichen Exportvolumen der EU von CHF 4.1 Mia. Eine rasche Umstellung aller Produkte auf Drittstaatanforderungen per Geltungsbeginn ist bei dieser Ausgangslage dringend zu empfehlen. Schweizer Wirtschaftsakteure sollen sich jetzt auf die Handelskontinuität mit der EU verlassen können.

Es ist möglich, dass die aktuelle Pandemie zu einer politischen Entspannung beim Verhältnis Schweiz-EU führt. Nichtsdestotrotz, wenn per Mai 2021 keine Nachführung beim MRA möglich wird, werden zuwartende Hersteller sich mit den Konsequenzen von nicht konformen Produkten auseinandersetzen müssen. Demgegenüber wären bereits drittstaatkonforme Produkte selbst bei einer politischen Einigung weiterhin konform. Wer sicher gehen will, der stellt jetzt um.

Drohende Verluste beim Import von Medizinprodukten
Die Umfrage zeigt auch die negativen Konsequenzen auf, die dem Handel beim Import drohen, wenn bei Nichtnachführbarkeit des MRA ein Schweizer Bevollmächtigter in Analogie zur MDR zu installieren ist. Diese Anforderung ist der Revisionsversion der Medizinprodukteverordnung zu entnehmen, welche das BAG am 15. März 2019 im Rahmen der Vernehmlassung publizierte.

Folie 7 macht deutlich, wieso diese Forderung so nicht bestehen bleiben darf. Mit ihr drohen 34% der importierten Handelsprodukte wegzufallen. Dies entspricht gemäss Folie 8 einer Reduktion des Handelsvolumens von bis zu CHF 1.8 Mia.

Parallel zur massiven Schwächung des Handels wird dadurch auch die Versorgungskette mit Produkten stark geschwächt. Im aktuellen Umfeld, welches neben der anhaltenden Rechtsunsicherheit auch geprägt ist von erheblichen technischen Unzulänglichkeiten bei der Einführung der MDR in Europa und einer drohenden unreflektierten Übernahme dieser Probleme ins Schweizer Recht, wird die zusätzliche Reduktion von Handelsware gravierende Versorgungslücken erzeugen.

Konklusion
Je rascher ein Hersteller sein Sortiment auf Drittstaatanforderungen umstellt, desto geringer ist sein Risiko, ab 26. Mai 2021 mit einem Umsatzverlust konfrontiert zu sein. Die initialen Administrationskosten sind ärgerlich, aber derzeit sind sie eine Art Kontinuitätsgarantie für den Handel mit der EU. Je länger die Branche auf ungesicherte politische Verhandlungserfolge hofft, desto grösser wird der Verlust am Handelsvolumen von CHF 4.1 Mia mit der EU sein.

Der bei der Einführung der revidierten Schweizer Medizinprodukteverordnung vorgesehene Schweizer Bevollmächtigte darf nicht, wie in der Version der Vernehmlassung vorgesehen, eingeführt werden. Der damit verbundene Importverlust schwächt einerseits massiv den Handel und in gefährlicher Weise auch die nationale Patientenversorgung.

[i] Swiss Medtech Umfrage: «Medizintechnikindustrie macht ihre Hausaufgaben» Präsentation Medienmitteilung, 29. April 2020

[ii] Verordnung (EU) 2017/745, Abl. Nr. L117 vom 5.5.2017, 1

[iii] Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, SR 0.946.526.81 (in Kraft getreten am 1. Juni 2002)

Autor: Peter Studer (Senior Advisor)