Eine Auswertung der Stellungnahme von Swiss Medtech macht deutlich: die am 1. Juli 2020 verabschiedete Schweizer Medizinprodukteverordnung ist inhaltlich weitgehend abgestimmt auf die entsprechende neue EU-Verordnung. Allerdings ist sie mit dieser schlecht vergleichbar, dies unter anderem, weil sie verschiedentlich nationale Definitionen und Texte enthält. Je nach Beziehung zur EU wird im nächsten Jahr somit eine teilweise problematische, schlimmstenfalls gar eine nicht anwendbare Schweizer Verordnung in Kraft gesetzt.

Einleitung
Am 1. Juli 2020 hat der Bundesrat die Revision der «Medizinprodukteverordnung, MepV» sowie die neue «Verordnung über klinische Versuche mit Medizinprodukten, KlinV-Mep» verabschiedet. Mit beiden Verordnungen soll es in der Schweiz zu einer Angleichung der regulatorischen Grundlagen an die in Europa eingeführte neue MDR kommen (MDR, Medical Devices Regulation, Verordnung (EU) 2017/745). Diese jüngsten Bestimmungen wurden von Schweizer Wirtschaftsakteuren teilweise mit Erstaunen und auch Befremden zur Kenntnis genommen. Denn insbesondere die Version der MepV könnte bei Schweizer Herstellern und Händlern erhebliche bis kaum lösbare Probleme verursachen.

Anhand der Anliegen einer Stellungnahme des Verbands Swiss Medtech (SMT) vom 26. August 2019 soll aufgezeigt werden, wie sich die neue MepV auf Schweizer Wirtschaftsakteure auswirken kann. Ist sie eine handhabbare Verordnung oder drohen damit essenzielle Probleme bei der Inverkehrbringung von Produkten? Dieser zentralen Frage geht die nachfolgende Auswertung nach.

Ergebnis
Ein aus SMT-Mitgliedern bestehendes Expertenteam hat zur Version vom 15. Mai 2019 eine Stellungnahme mit 36 inhaltlichen Änderungsanliegen für den Teil der MepV erarbeitet.

Bei 14 Anliegen (39%) wurden die Empfehlungen des Teams nicht berücksichtigt. Bei 8 Anliegen (22%) wurden Korrekturen im Sinne des Teams vorgenommen. Bei weiteren 14 Anliegen (39%) ist es zu Teilkorrekturen gekommen, woraus bei mindestens 9 Anliegen (25%) eine sinngemässe Berücksichtigung der Teamanregungen erkennbar ist.

Diskussion
Die Anliegen des Expertenteams waren aufgrund gemachter Erfahrungen mit der aktuellen MepV stark auf eine möglichst hohe Übereinstimmung der Schweizer Verordnungstexte zur MDR ausgerichtet. Unbesehen davon wurden ihre Anliegen lediglich zu knapp einem Viertel komplett aufgenommen. Diese Teile lassen sich nun eindeutig mit der MDR vergleichen. Beispiele dazu sind die Ausnahmen für die Erstellung eines Implantationsausweises gemäss Art 20, Abs 1 der MepV sowie die Handhabung der UDI-Bezeichnung für Versandcontainer in Art 17, Abs 2.

Bei einem weiteren Viertel ist es mindestens zu einer zweckdienlichen Teilaufnahme der Anliegen gekommen. Mit diesen lässt sich wenigstens eine sinngemässe Übereinstimmung zu den MDR-Anforderungen ableiten. Zwei Beispiele aus dieser Gruppe finden sich bei den Aufgaben für die Händler gemäss Art 54, Abs 1 der MepV und bei den Voraussetzungen zur Anbringung eines Konformitätskennzeichens gemäss Art 46, Abs 1. In beiden Fällen ist eine Analogie zu den entsprechenden MDR-Verordnungstexten klar ersichtlich.

Heikler wird es bei denjenigen zirka zehn nicht eingearbeiteten Anliegen, bei denen nicht angepasste nationale Definitionen und Texte selbst einen inhaltlichen Vergleich zur MDR nahezu unmöglich machen. Sollten Hersteller ihr Qualitätsmanagementsystem auf solche MepV-eigenen Definitionen und Texte abstützen, kann dies von auditierenden Benannten Stellen (NB, Notified Bodies) beanstandet werden. Denn NB haben sich bei ihren Audits ausschliesslich an der MDR zu orientieren. Demnach dürften sie sich bei Schweizer Herstellern grundsätzlich nicht zufriedengeben, wenn sie beispielsweise erklärt bekommen, dass in der Schweiz harmonisierte Normen bezeichnete Normen seien – wobei dies gemäss Heilmittelgesetz (Art 45, Abs 4) erst noch zu relativieren ist, sie in der Schweiz neu als bezeichnete Stellen aktiv sein sollen und beim Bevollmächtigten ein exklusiv für das Schweizer Hoheitsgebiet zuständiger Schweizer Bevollmächtigter gemeint sei. Derartige Nichtübereinstimmungen zur MDR können ohne eine staatsvertragliche Vereinbarung, also ohne nachgeführtes MRA (Mutual Recognition Agreement, SR 0.946.526.81), zu ernsthaften Benachteiligungen von Schweizer Wirtschaftsakteuren führen. Mühelos erkennbar, die Schwere anstehender Probleme wird mit geprägt von der künftigen Beziehung der Schweiz zur EU.

Unter der günstigsten Annahme eines gelösten Beziehungskonflikts mit der EU kann die MepV eine europäisch akzeptierte Schweizer Ausführung der MDR sein. Diese orientiert sich weitgehend an Transpositionsgrundsätzen bisheriger EU-Richtlinien. Daher wurde primär auf inhaltliche und teilweise eher bescheiden auf nachvollziehbare Gleichheit zur MDR geachtet. Exemplarisch dafür seien die lediglich «fast» identischen Definitionen von «Bereitstellung auf dem Markt» und «Inbetriebnahme» aufgeführt. Die bei solchen Besonderheiten verbleibenden Unklarheiten und Interpretationsmöglichkeiten haben zur Folge, dass die verabschiedete Version in jedem Fall als mindestens partiell problematisch anzusehen ist.

Ohne nachgeführtes MRA kann es zusätzlich zu ernsthaften Benachteiligungen bei der Inverkehrbringung von Schweizer Medizinprodukten kommen. Es können aber auch Schwierigkeiten im Zusammenhang mit zuständigen Behörden in Europa entstehen. Diese werden mit Sicherheit kein Verständnis aufbringen, sollten ihnen gegenüber von der MDR abweichende Begriffe verwendet werden. Insgesamt muss die aktuell verabschiedete Version für solch einen vertragslosen Zustand als nicht anwendbar angesehen werden. Immerhin bleibt die Hoffnung, dass eine zusätzlich überarbeitete MepV-Version, die für solch einen Fall unausweichlich bereitzustellen ist, alle notwendigen Korrekturen aufweisen wird.

Konklusion
Die am 1. Juli 2020 verabschiedete Version der MepV ist inhaltlich weitgehend auf die MDR abgestimmt. Sie ist allerdings noch weit davon entfernt, die anlässlich der Stellungnahme per Verbandsantrag geforderten minimalen Anforderungen zu erfüllen. So ist sie ohne aktualisiertes MRA weder vollständig funktionsfähig noch beachtet sie die zunehmende Besorgnis der sich verstärkt abzeichnenden Versorgungsengpässe.

Die in der MepV eingearbeiteten nationalen Eigenheiten behindern Schweizer Wirtschaftsakteure in unnötiger Weise. Damit einhergehende Verzögerungen hemmen deren europäische Vermarktungsmöglichkeiten. Aber auch die Schweizer Medizinprodukteversorgung kann dadurch mindestens partiell beeinträchtigt werden.

Trotz vorliegender Verordnung sollten Schweizer Hersteller alles daransetzen, dass ihre wettbewerbsentscheidende Innovationkraft erhalten bleibt. Gegebenenfalls müssten sie dazu eine Neubeurteilung ihrer Absatzmöglichkeiten vornehmen und mindestens temporär den aussereuropäischen Handel intensivieren.

Autor: Peter Studer (Senior Advisor)

Verordnungen vom 1. Juli 2020: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medizin-und-forschung/heilmittel/aktuelle-rechtsetzungsprojekte/revision-med-prod-verord-mepv.html

Stellungnahme Swiss Medtech: https://www.swiss-medtech.ch/sites/default/files/2020-05/VA_Totalrevision_Medizinprodukteverordnung_20190826.pdf